Ich werde immer wieder gefragt, wie ich denn auf die Idee gekommen bin, an Liverollenspielen teilzunehmen. Ich bin sicher, jeder Liverollenspieler hat eine einzigartige Geschichte, wie er oder sie zu diesem einzigartigen Hobby gefunden hat.
In meinem Fall begann dieses Abenteuer bereits im Alter von elf Jahren – durch einen glücklichen Zufall. Damals hatte ich gerade die Harry Potter Bücher gelesen und träumte davon, meinen Hogwarts Brief zu bekommen – wie jedes elf-jähriges Kind, nehme ich an. Im Gegensatz zu den meisten anderen Potterheads wurde mir dieser Wunsch schließlich sogar erfüllt. Der Vater der besten Freundin meiner Schwester – Ralph Schimpl – hatte bereits vor meiner Geburt den Verein Ariochs Erben gegründet und nun beschlossen, auch ein Spiel für Kinder und Jugendliche zu organisieren. Das Setting dieses Spieles war eine Schule für Magiebegabte mit dem Namen „Rufus Reigenthum“, die Hogwarts nachempfunden und sich in der von J.K. Rowling erschaffenen Magiewelt befand, allerdings in Österreich angesiedelt war. Meine Schwester und ich, sowie ein weiterer Freund der Familie, wurden von unseren Eltern angemeldet, die selbst auch als NSCs am Spiel teilnahmen. Obwohl die Häusereinteilung vorrangig nach dem Alter erfolgte, wurden wir alle in das Haus eingeteilt, mit dem wir uns am meisten identifizierten (Unter uns: Ich halte es sogar für möglich, dass diese Einteilung auch unseren realen Charakter in eine entsprechende Richtung gelenkt hat). Die Spielleitung hatte für die verschiedenen Altersgruppen unterschiedliche Plots vorbereitet, sodass jeder, seinem Alter angemessen, möglichst viel Spaß haben konnte. Ich sammelte an diesem Wochenende so viele schöne Erinnerungen, dass ich bei der Rückkehr in mein normales Leben weinte, da ich zurück in die Welt der Fantasie wollte.
Etwas später entdeckte ich eine andere Art des Rollenspiels für mich: eine online Community, in der Rollenspiele in Chatrooms stattfanden. Hier lernte ich, völlig in die Rolle einer von mir geschaffenen Person zu schlüpfen und mit anderen auf interessante Art und Weise zu interagieren, sodass sich eine Geschichte ergab. Obwohl ich in diesen Chatrooms gute Freunde fand und viel Spaß hatte, war es doch kein Vergleich zu den Gefühlen, die das Liverollenspiel in mir ausgelöst hatte.
Es dürfte also keine Überraschung sein, dass ich wie ein Gummiball durch die Wohnung sprang, als ich erfuhr, dass eine Fortsetzung des Spieles, an dem ich im Alter von elf Jahren teilgenommen hatte, geplant war. Seit meinem ersten Spiel waren nun fünf Jahre vergangen also überarbeitete ich meinen Charakter. Wir bastelten neue Zauberstäbe und lernten voller Vorfreude Zaubersprüche, wie es sich für gute Zauberschüler eben gehört – und wir wurden nicht enttäuscht. Actionreiche Kämpfe, spannende Questen und ein magisches Ritual, welches es beinahe unmöglich machte, nicht tatsächlich an Magie zu glauben, verzauberten mich wie bei meinem ersten Spiel. Die Welt des Liverollenspiels hatte mich erneut in ihren Bann gezogen!
Im Zuge dieses Spieles erfuhr ich nun auch von der Existenz des Vereins Ariochs Erben, von dem ich aufgrund meines Alters bei meinem ersten Spiel nichts mitbekommen hatte. Nun aber war ich alt genug, um beizutreten und, bereits einige Wochen nach besagtem zweitem Spiel, tat ich dies auch. Ich besuchte die Stammtische und meldete mich für eine Steampunk Taverne, „Die rote Schwalbe“ an, welche ich im August 2018 zusammen mit Ralph, dessen Charakters Mündel ich spielte, besuchte. Dies war das erste Mal, dass ich an einem Spiel für Erwachsene teilnahm, doch ich fühlte mich vom ersten Moment an herzlichst aufgenommen – auch wenn ich die meisten anderen Spieler nicht kannte. Über jenen Abend will ich jetzt nicht zu viele Worte verlieren, doch es sei gesagt, dass ich selten so viel und so zwanglos Spaß hatte. Jemand anderer zu sein, erlaubte mir auf gewisse Art und Weise, mehr ich selbst zu sein. Für jemanden, der noch nie ein Spiel wie dieses erlebt hat, wird es unbegreiflich sein, wie ich mich fühlte, doch ich war vollkommen in meiner Rolle, die sich von meiner realen Person in gewissen Bereichen enorm unterschied – und war im Nachhinein selbst überrascht von dem Selbstbewusstsein, das ich hier an den Tag legte. Ich schien jegliche Hemmschwellen und Ängste vergessen zu haben, da ich mich in der Gesellschaft meiner Mitspieler so wohl fühlte, als wären sie meine Familie – selbst, wenn ich sie gerade erst zum ersten Mal gesehen hatte.
Auf dieses Liverollenspiel folgte bald das nächste und so nahm ich im September an meiner ersten Taverne in der Welt von Ariochia teil. Genau genommen war mein Charakter hier ein NSC, da ich für die Spielleitung alle gesammelten Informationen schriftlich festhalten sollte, doch Claudia, die hier die Spielleitung übernahm, ließ mir viele Freiheiten bei der Gestaltung. Die Rolle, die ich verkörperte, war die einer Halbelfe aus dem Wald, die aus Neugier in die Welt aufgebrochen war. Ihr Name war Lyra.
Bald darauf fand eine weitere Steampunk Taverne, „die Edenbar“, statt. Diesmal schrieb ich die Hintergrundgeschichten sowohl für meinen Charakter als auch für den von Ralph, der erneut mein Begleiter war. Auch hier fühlte ich mich wieder sehr willkommen, selbst als mein Charakter schließlich des Mordes beschuldigt wurde (unschuldig – selbstverständlich).
Ungefähr zu dieser Zeit, fasste ich auch den Entschluss, mich dem Thema des Liverollenspiels in meiner vorwissenschaftlichen Arbeit, die ich im Zuge meiner Matura schreiben muss, zu widmen. Auslöser hierfür war die Erkenntnis, dass dieses Hobby mein Leben auch in der realen Welt positiv beeinflusst hat und ich aus den Spielen tatsächlich viel für den Alltag mitnehmen konnte.
Etwas später fand eine weitere Ariochia Taverne statt. Auch hier schlüpfte ich wieder in die Rolle Lyras, die mir selbst mittlerweile als Herz gewachsen war. Hier knüpfte ich Kontakte und führte Gespräche, die für das darauffolgende Spiel von Wichtigkeit sein würden – das große Jubiläumsspiel „Baran -das Erwachen“ im März, bei dem wir das 30-jährige Bestehen von Ariochs Erben feierten. Zwischen den beiden Spielen schaffte ich es nun endlich, meinen Charakter auch offiziell nach Codex III zu erstellen und bastelte weiter an meinem Kostüm. Als das lang ersehnte Wochenende kam, wurden meine Erwartungen erneut übertroffen. Durch die vorbereitete Anreisegeschichte Lyras, die in Begleitung eines Scheibenkreuzritters gereist war und auf der Reise eine Freundschaft zu ihm entwickelt hatte, war bereits vom ersten Moment an eine wunderbare Grundlage für interessantes Rollenspiel geboten, das bald durch die diversen Questen, Kämpfe und Rätsel, noch spannender wurde. Auch hier möchte ich mich nicht zu lange damit aufhalten, einzelne Geschehnisse zu erläutern, doch eins führte zum anderen und mein Charakter beschloss schließlich, sich für das weitere Bestehen der Welt Ariochias zu opfern. Ich wage zu behaupten, dass dieses Verhalten auch meine Mitspieler bewegte, denn sie alle boten mir Schutz und taten ihr Bestes, um mir zu helfen. Auch wenn es mir ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr möglich war, dies als mein Charakter zu zeigen, so war auch ich zu tiefst gerührt von der Wärme, die mir entgegengebracht wurde.
Da dies das letzte Spiel war, an dem ich teilnahm, muss mein Bericht hier enden, doch es ist gewiss, dass das Ende dieser Geschichte noch lange nicht absehbar ist. Einmal im Bann des Liverollenspiels kommt man nicht mehr heraus – doch wozu auch? Es ist und bleibt doch das magischste Hobby der Welt!
Ein Gedanke zu „Nelli (17): Mein magischer Weg in die LARP-Szene“
Auch auf diesem Weg, noch einmal ein Danke an Nelli für das schöne Charakterspiel auf dem Live und die vielen tollen und emotionale Szene. Da mein Charakter der erwähnte Scheibenkreuzritter war, erlaube ich mir zwei kleine Ausschnitte aus seinem persönlichen Bericht zu veröffentlichen:
„… Doch nachdem auch Lyra das Artefakt bekommen hatte und dieses gefüllt wurde, verwandelte auch sie sich. All ihre Quirligkeit und ihr fröhliches und kindliches Wesen waren verschwunden und es machte mich sehr traurig. Ich habe mein Leben dem Schutz der Hilf- und Wehrlosen gewidmet, doch hier konnte ich nichts tun, um den Menschen, der mir in den letzten Tagen sehr ans Herz gewachsen war, vor dem Unvermeidlichen zu schützen. …
… Aus Achtung vor Lyra, ihrem Mut und als Sinnbild für Selbstlosigkeit, wird mich ihr Name fortan begleiten, als Inschrift meines Schwertes. Ihre Frohnatur und ihr Wesen werden aber für immer einen Teil meines Herzens ausfüllen …“