26. Tag der Casidora, 1525, Dravakor, Livius der (ehemalige) Schreiber an seinen geliebgten Freund Andronicus, drei Tage vor Vollmond
Im Winter kriecht einem die Kälte in diesem Scheiß Land in alle Knochen. Als würde einem nie wieder warm werden. Als wäre die Kälte tief drinnen.
Nachts drängen wir uns eng zusammen unter den Fellen und den Decken die wir von den Fremden bekommen habe. Nicht dass Verena nicht trotzdem mit den Nachbarn darum hätte kämpfen müssen.

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Wie um alles hier. Jeden Tag kommt sie heim mit neuen Verletzungen. Anders würden sie es hier nicht verstehen, sagt sie. Sie tut das nur für uns, sagt sie. Wenn jeder versteht, dass sie stärker ist, wird es uns besser gehen. Dieses Land hat eine Härte in ihr Gesicht gebracht, manchmal erkenne ich meine Frau nicht wieder. Wäre es nicht für meine Mädchen, ich wäre ihr nicht hierher gefolgt.
Schon wieder rüttelt ein Schneesturm an den Wänden unserer winzigen Baracke und ich muss an mein Scriptorium zu Hause denken und an den verdammten Magistrat, der sich jetzt an meinem Feuer die Hände wärmt, meine Schriften liest und meinen Cognac trinkt, den er rechtmäßig erworben hat, weil seine Frau kein Werwolf ist. Weil seine Kinder keine Monster werden.
„Schau nur, Papa, Schnee !“ hat Flavia mir gesagt, während jede Nacht in den Gassen Alte und Kinder erfrieren. Und angefangen Flocken zu jagen, als wäre alles in bester Ordnung und wir wären hier nur auf einer besonders aufregenden Reise. Ihre Schwester hingegen ist eine echte Goldländerin und fängt an zu weinen, sobald das kalte Nass ihr Gesicht berührt.
Immerhin haben sie uns zu Essen gegeben. Dafür musste ich auch nur meine Würde verkaufen und uns zählen und verzeichnen lassen wie Vieh. Unsere Namen stehen jetzt auf Lederfetzen, die wir bei uns tragen sollen. Pergament oder gar Papier kann man wohl nicht verwenden. Nicht haltbar genug für Tiere wie uns.
Ich hoffe ich lebe lange genug, um die Mädchen und Schreiben zu lehren in dieser scheiß Wildnis.
Bald ist der Mond voll und wer weiß, ob dieser Trank etwas bewirkt den Verena von den Fremden bekommen hat. Die Silberketten sind zu Hause geblieben im Keller. Gehören jetzt auch Titus Secundus, dem vorbildlichen Magistrat der das Imperium vor uns beschützt hat. Gemeinsam mit meinen Weinfässern.
Zu Vollmond wollten die Fremden, dass ich die Kinder abgebe, damit sie sicher sind. Sie sammeln alle Kinder ein für die drei Nächte. Um sie zu schützen, sagen sie. Wer weiß schon was die wirklich vorhaben. Aber das werde ich nicht zulassen. Uns werden sie nicht trennen. Innoval möge mir beistehen, ich werde meine Töchter nicht den Fremden übergeben, nicht der geächteten Selune Kirche, nicht anderen fremden Göttern.
Wir verbarrikadieren die Tür mit allem, was ich finden kann und dann bete ich drei Nächte Land, dass Verena nach diesen drei Tagen noch zu uns zurückkommen kann.